Die dunkle Seite des DFS Schönbrunn

  • Dass das heute der ÖGEG gehörende Dampffahrgastschiff (DFS) Schönbrunn in beiden Weltkriegen als Lazarettschiff bei Kranken- und Truppentransporten im Einsatz war, ist dank Wikipedia hinlänglich bekannt. Fast gar nicht bekannt ist hingegen, dass die Schönbrunn auch an der Deportation österreichischer Juden beteiligt war.


    In dem von mir gerade gelesenen, sehr lesenswerten Buch "Reisen zu verlorenen Nachbarn" von Lorenz Glatz, einer Spurensuche über den weiteren Verbleib während des 2. Weltkrieges vertriebener Bewohner der Marktgemeinde Wiesmath in der Buckligen Welt findet sich ein Bericht über die Fahrt mit der Schönbrunn von Wien nach Tulcea in Rumänien, von wo die Reise auf einem Seelenverkäufer in Richtung Palästina weiterging. Der Bericht stammt von einem namentlich nicht genannten Teilnehmer, der als Kind an Bord der Schönbrunn war und seinen Bericht erst Jahrzehnte später verfasste. Der maschinengeschriebene Bericht befand sich im Nachlass einer zuletzt in den USA lebenden, aus Wiesmath stammenden Frau, die ebenfalls an Bord der Schönbrunn war.


    Ich stelle den Reisebericht hier rein, weil ich glaube, dass auch dieses Kapitel der Schönbrunn bekannt sein sollte. Betonen möchte ich aber auch noch, dass der Reiseabschnitt auf der Donau noch der wesentlich angenehmere war. Die ca. eineinhalb Monate dauernde Fahrt über das Schwarze Meer, Ägäis und Mittelmeer war ein Horrortrip und zu guter Letzt wurde auf auf eines der Schiffe, welche die Flüchtlinge weiter nach Mauritius deportieren sollten, ein Sprengstoffanschlag verübt, worauf es sank. Dabei fanden über 100 Flüchtlinge den Tod.


    Hier nun der Original-Bericht:


    Nach vielen Verzögerungen bekamen wir endlich am 2. September 1940 die Meldung, daß wir am nächsten Tag um zehn Uhr an einem bestimmten Ort sein sollten. Dort versammelten sich 800 der österreichischen Juden und solche, die aus Polen zugewandert waren. Nach vielen Auseinandersetzungen und großem Krach kamen um zwei Uhr nachmittags die Autobusse, die die Passagiere zum Pier auf der Donau brachten. Dort warteten auf uns zwei Flußschiffe, eines namens "Melk", auf dem sich schon Flüchtlinge aus der Tschechoslowakei befanden, das andere namens "Schönbrunn", auf das wir zu steigen hatten. Es waren flache, zweistöckige Flußschiffe, für kurze Vergnügungsreisen gedacht. Auf beiden Seiten des Schiffes waren zwei riesige Radschaufeln, die sich drehten und das Schiff vorwärts bewegten. Auf biden Decksaren nur Bänke und Sitzgelegenheiten für 150 Personen, die nur für kurze Reisen für wenige Stunden geplant waren und nicht für lange, tagelange Reisen. Auf den Decks der Schönbrunn saßen im Gedränge ungefähr 800 Passagiere mit Kindern und Gepäck. Man konnte sich kaum bewegen und eswar ein großes Durcheinander.

    Vor dem Einsteigen ins Schiff wurden unsere Reisepässe überprüft und die zwei Koffer, das Handgepäck und die Papiere kontrolliert. Auf die Frage der Polizei, Wohin wir denn fahren würden, antwortete mein Vater, dass wir nach Paraguay durch Bratislava in der Tschechoslowakei fuhren, was auch zur Eintragung im Reisepaß passte. So kamen wir durch die Nazi-Kontrolle. Doch vor dem Einsteigen in das Schiff hielt uns ein SS-Offizier an und fragte meine Mutter nach dem Inhalt ihrer Handtasche. Als er in ihr ein Silberbesteck von dem Hochzeitsgeschenken fand, versuchte er es zu beschlagnahmen. Meine Mutter verweigerte es und warf die ganze Tasche in einem großen Bogen in die Donau. Wir stiegen auf das Schiff.

    Am nächsten Morgen, dem 4. September um fünf Uhr früh, verließen wir Wien und Österreich für immer. Nach ein aar Stunden erreichten wir Bratislava. dort warteten auf uns noch zwei ähnliche Flußschiffe namens "Uranus" und "Helios". Wir fuhren dann eins hinter dem anderen auf der "blauen Donau", die gar nicht blau war.

    So fing unsere Reise an, mit 3.500 Flüchtlingen durch 2.000 Kilometer bis zum Schwarzen Meer in Rumänien, auf einem Schiff, auf dessen Mast eine Fahne mit dem Hakenkreuz wehte. Die Flüchtlingsflotte fuhr langsam auf der Donau dahin, in einer der pastoralen und schönsten Szenerien Europas, was im schrecklichen Kontrast zum seelischen Zustand der Reisenden stand. Sie waren herausgerissen aus ihrer Vergangenheit, auf dem Weg in eine in Nebel gehüllte Zukunft und voll Angst auf was die Zukunft ihnen bringen würde.

    Wir fuhren vorbei an Budapest in Ungarn und an Belgrad in Jugoslawien und erreichten Rumänien. Nach einer Schiffsreise von neun Tagen, seit wir Wien verlassen hatten, kamen wir im Hafen von Tulcea am Schwarzen Meer am 12. September an. Ein Ereignis hat mich besonders berührt, obwohl ich es mit den Jahren vergessen hatte. Die Erinnerung kam wieder auf in mir, greifbar und mit allen Farben, als ich das wunderbare Buch namens "The Mauritian Shekel" der Schriftstellerin aus Mauritius, Frau Genevieve Pitot, las. Aus diesem Buch nahm ich auch all die aktuellen Datenund diverse Einzelheiten: An einem Ort war die Donau sehr breit, und dort war sie die Grenze zwischen Rumänien im Norden und Bulgarien im Süden. Dort in der Mitte stand ein verrostetes, auf die Seite geneigtes Flußschiff namens "Pencho". Auf ihrem Deck waren Flüchtlinge wie wir und schrien um Hilfe "Wir verhungern, wir sterben vor Hunger!" Es stellte sich heraus, dass der treibstoff und die Esswaren vebraucht waren und dass sie an diesem Ort vier Monate festlagen. Es waren auf ihm 600 Menschen, und unter ihnen Kranke. Und keines der beiden danebenliegenden Länder hat es ihnen ermöglicht, ihr Gebiet zu betreten oder ihnen irgendwelche Lebensmittelprodukte zukommen zu lassen . Unser Konvoi hielt in ihrer Nähe an, aber außer Ermutigungsrufen konnten wir ihnen nicht helfen*) Nach einigen Stunden, mit schwerem Herzen und noch mehr Angst vor der Zukunft, machte unser Konvoi sich auf den Weg, nicht ahnend, daß unser Schicksal dem ihren ähnlich werden würde.

    Wie schon gesagt, wir kamen im Hafen von Tulcea an. Es war eine Kleinstadt in Rumänien an einem der Nebenlüsse, die in die Donau mündeten. Am Pier standen drei schräggeneigte Schrott-Schiffe, auf deren Deck Handwerker sonderbare Holzkonstruktionen errichteten. Außer ihnen war der Hafen leer.Am nächsten Morgen erwachte der Hafen zum Leben, die (Schrott-)Schiffe wurden vom Pier entfernt, sie wurden mit neuen Namen bemalt, aber am wichtigsten wa, daß sie der Fahne Panamas(in Südamerika, ei neutrales Land im Krieg9 ausgestattet wurden.

    *) Entgegen dieser Schilderung wurde den Passagieren der "Pencho" von den Flüchtlingen aus Wien sehr wohl geholfen, obwohl auch sie unter knappen Essensvorräten litten und es wurden von den Flüchtlingen gespendete Lebensmittel an Bord der "Pencho" gebracht. Diese wurde auch wieder flottgemacht und notdürftig repariert, erlitt aber in der Ägäis Schiffbruch und ging unter. Die Überlebenden wurden auf Rhodos interniert.


    Noch ein Wort zur Lebensmittelknappheit an Bord: Bevor die Flüchtlinge an Bord durften, wurde ihnen eine hohe Summe an Reisegeld abverlangt, das auch alle Kosten während der Reise einschließen sollte. Die Wahrheit sah aber anders aus. Die Flüchtlinge mussten während der Reise alle auflaufenden Kosten aus eigener Tasche bezahlen und auch für das Kohlebunkern wurden die Flüchtlinge zur Kasse gebeten. Das sogenannte Reisegeld düfte in die Taschen jener Personen geflossen sein, die für die "Auswanderung der Juden aus dem deutschen Machtbereich in das britische Palästina" zuständig waren.


    Quelle: Reisen zu verlorenen Nachbarn. Die Juden von Wiesmath, von Lorenz Glatz, Verlag Löcker, Wien 2017.

    dr. bahnsinn - der Forendoktor

  • Hallo Dr. Bahnsinn!


    Danke für diesen sehr interessanten Beitrag. Unglaublich, was so manche Menschen früher mitmachen mußten.


    LG 2020.01

    Der Schienenverkehr wird durch Schienenersatzverkehr ersetzt.

  • ......das war noch der einfachere Teil der Reise.

    Richtig. Sofern gewünscht, werde ich auch noch aus dem Teil des Reiseberichts zitieren, in dem die abenteuerliche Reise übers Meer geschildert wird.

    dr. bahnsinn - der Forendoktor

  • Vielen Dank! Ich bin mir nicht sicher, ob ich den zweiten Teil des Reiseberichts eigentlich lesen möchte, ist doch der erste schon schaurig genug.

    You, who are indifferent to the misery of others, it is not fitting that they should call you a human being. ~ Saadi Shirazi

  • Danke für den wirklich interessanten Bericht! Es sind ja grad solche Berichte die dieser Zeit ein Gesicht geben und uns einen Einblick gewähren und die uns daran erinnern, dass wir verhindern müssen dass solche Zeiten je wiederkehren...


    Wobei ich da irgendwo ein Problem habe wenn sich das nur auf die NS-Zeit bezieht, wer weiß, ob wir uns nicht in 60 Jahren posthum schimpfen lassen müssen weil wir mehr oder weniger tatenlos zugesehen haben wie halb Afrika hungert...? Teilweise bedingt durch unsere Exporte in diese Länder...?


    Oder wie tausende Flüchtlinge im Mittelmeer ersaufen? Könnte man da vielleicht JETZT mehr tun? Vielleicht sogar vor Ort? Auf dass die Flucht gar nicht mehr notwendig ist...? Wir können dann ja nicht mal behaupten, dass wir es nicht gewusst haben...


    Ich würde den Rest des Berichtes mit der Überfahrt wirklich gern lesen!

  • Schön, dass es so Kümmerer wie dich gibt! Wir haben in diesem Land genug Probleme, ganz Europa hat genug Probleme. Ein Krieg steht ins Haus! Wenn Putin das Gas abdreht, haben viele ein Problem und die Yankees werden das nicht hinnehmen! Da müssen wir uns nicht auch noch die Baustellen der Anderen aufhalsen, die haben eben Pech gehabt in ihrem Leben! Nimmst du zwei oder drei dieser Flüchtlinge auf in deiner Wohnung? Verpflegst du sie? Zahlst du die Arztrechnungen? Gerne! Nur fürchte ich, dass dein Mitleid nur geheuchelt ist, die Hilfe soll natürlich von Anderen kommen, gell? Die Hilfe soll von der Allgemeinheit kommen, die so und so schon alleine durch die trabende Inflation und doppelt so hohe Energiepreise ausgequetscht wird. Und wenn ich drei dieser "Flüchtinge" plötzlich in meinem Pool vorfinde, dann bildet sich sofort eine Art Mordlust, denn ich habe mir meinen Wohlstand selbst aufgebaut und setze mich nicht in "das gemachte Bett" eines Anderen, wie die das machen!

  • Und wenn ich drei dieser "Flüchtinge" plötzlich in meinem Pool vorfinde, dann bildet sich sofort eine Art Mordlust, denn ich habe mir meinen Wohlstand selbst aufgebaut und setze mich nicht in "das gemachte Bett" eines Anderen, wie die das machen!

    Ich bereue bereits, die obige Beschreibung einer Deportation österreichischer jüdischer Familien vor über 80 Jahren hier gepostet zu haben, denn dieser letzte Satz des Vorpostings ist eine maßlose Verharmlosung der Vorgänge während der NS-Herrschaft. Fast alle Familien, die damals auf den Donauschiffen in Richtung Palästina in eine ungewisse Zukunft fuhren, hatten es in Österreich zu einem gewissen Wohlstand gebracht, der ihnen dann vor ihrer Vertreibung entweder abgepresst wurde oder den sie einfach in Österreich zurücklassen mussten. Die Flucht kostete für die Familien noch einmal ein kleines Vermögen, weil sich die Fluchthelfer an ihnen bereicherten. Fast alle haben sich, sofern sie nicht auf der Flucht umgekommen sind, in Palästina/Israel oder in den USA eine neue Existenz aufgebaut.
    Schade, dass das ernste Thema durch ein Posting, das vor Selbsbeweihräucherung nur so trieft, völlig entwertet worden ist.

    dr. bahnsinn - der Forendoktor

  • Ich lege Wert auf die Feststellung, dass sich mein Posting nicht auf die Ereignisse während des Zweiten Weltkrieges bezog, sondern auf die (fast ausschließlich männlichen) Wirtschaftsflüchtlinge der Gegenwart, mit denen sich Europa abg'fretten muss!

  • Ich lege Wert auf die Feststellung, dass sich mein Posting nicht auf die Ereignisse während des Zweiten Weltkrieges bezog.....

    Dann gehört auch nicht hierher, da eine glatte Themenverfehlung. Der Draisinenfan-Beitrag nimmt immerhin Bezug zu den Geschehnissen von damals und seine Sorge, dass auch wir angesichts unseres Wohlstandes in Europa für die unterlassene Hilfe in Afrika zumindest mitverantwortlich gemacht werden könnten, ist durchaus berechtigt. Deine Sorgen über Flüchtlinge in deinem Swimmingpool interessieren hingegen niemanden.

    dr. bahnsinn - der Forendoktor

  • Zitat

    wer weiß, ob wir uns nicht in 60 Jahren posthum schimpfen lassen müssen weil wir mehr oder weniger tatenlos zugesehen haben wie halb Afrika hungert...? Teilweise bedingt durch unsere Exporte in diese Länder...?


    Oder wie tausende Flüchtlinge im Mittelmeer ersaufen? Könnte man da vielleicht JETZT mehr tun? Vielleicht sogar vor Ort? Auf dass die Flucht gar nicht mehr notwendig ist...? Wir können dann ja nicht mal behaupten, dass wir es nicht gewusst haben...

    ...bezieht sich sehr wohl auf die Gegenwart und darauf habe ich reflektiert und gerade in Afrika ist Geburtenkontrolle angesagt! Mit Off-Topic gibt es auch sonst keine Probleme, warum dann gerade hier?



    Zitat

    Deine Sorgen über Flüchtlinge in deinem Swimmingpool interessieren hingegen niemanden.

    Und mich (und mittlerweile sehr viele andere) interessieren die Flüchtlinge nicht, zumal es keinen Platz mehr in Europa dafür gibt - außer im (europäischen) Bereich des Mittelmeeres. Meine Hochachtung gilt Polen für die konsequente Durchsetzung der EU-Außensicherung. Die Ungarn haben in diesem Ranking leider bereits verloren.