Schienenauto bei der Stubaitalbahn

  • An anderer Stelle im Forum gibts ein nettes Rätsel über ein Schienenauto in Sopron:

    dr. bahnsinn
    12. November 2022 um 23:54

    Dadurch angeregt habe ich ein wenig in alten Zeitungen rumgestöbert (https://anno.onb.ac.at/) und bin bei der Stubaitalbahn fündig geworden:

    Tiroler Anzeiger - Freitag, den 26.Aprll 1926

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    Mit einem Schienenauto ins Stubai

    Der Verwaltungsrat der Stubaltalbahn hat, wie wir wir gestern bereits kurz berichteten, eine Draisine angeschafft. Nachdem schon in den letzten Tagen Probefahrten stattgefunden, wurde gestern vormittag eine solche Probefahrt mit dem aus die Schienen gestellten Automobil vom Vertreter des Bundesministeriums für Handel und Verkehr, Oberbaurat Ingenieur Frisch, und den Vertretern, der Innsbrucker Tageszeitungen ins Stubai bis Fulpmes unternommen.

    Das Auto unterscheidet sich durch nichts von einem anderen Auto, nur fehlt ihm das Steuer, das es ja nicht braucht, weil es auf Schienen läuft. Es ist ein österreichisches Speztalerzeugnis der Automobilfabrik Perl A.G. Wien-Liesing, hat 14 PS und ist das erste für den öffentlichen Personentransport bestimmte Schienenauto in Tirol. Es wird von der Bahn als Hilfswagen bei Betriebsstörungen und als Personenbeförderungsmittel für Gelegenheitstransporte (kleine Gesellschaften, Hochzeiten, Firmungen, nächtliche Krankentransporte von Stubai nach Innsbruck usw.) verwendet. Es faßt 8 Personen und den Chauffeur, ist mit Polstersitzen ausgestattet und kann eine Stundengeschwindigkeit bis zu 40 Kilometer zurücklegen.

    Die Fahrt mit dem Schienenauto bietet vor allem die Bequemlichkeit des vollkommen staubfreien Fahrens mit ungehinderter freier Aussicht. Auch das ängstliche Gefühl eines Zusammenstoßes, das sich vielen Leuten bei Benützung eines Straßenautos aufdrängt, ist beim Schienenauto von vorneherein ausgeschaltet.

    Den Vertretern der Tageszeitungen war gestern wieder unter Führung des Betriebsleiters Ing. Huber Gelegenheit geboten, das wegen feiner Naturschönheiten vielgerühmte Stubaital zu besuchen. Das Auto schlengelte sich spielend auf die Hochflächen des südlichen Mittelgebirges, von wo aus man den einzigartigen Blick auf die Stadt Innsbruck und die gesamte Nordkette genießt. Dann ging es hoch oben im Silltal an den Orten Natters und Mutters vorbei, über Schluchten, Täler und durch Tunnels in die ausgedehnten Lärchenwäider, die sich längs der Bahn über 5 km lang hinziehen.

    Knapp bevor die Bahn zum neuen Kirchlein in Kreith kommt, wurde am Hang ein Wald abgeholzt, so daß man jetzt einen freien Ausblick auf die alte steinerne Stephansbrücke und ins Ruetztal bekommt. Fast auf der ganzen Fahrt hat man herrlichen Ausblick auf die imposante Felspyramide der Serles und schließlich entschleiert sich die ganze mächtige Gletscherwelt der Stubaier Alpen.

    In T e l f e s wurden die Gäste des Schienenautos von dem von einer schweren Krankheit wiedergenesenen bekannten Hotelier Breying des Hotels Serles begrüßt. In Fulpmes wurde die 1100 Kilogramm schwere Maschine mittels hydraulischer Pumpe umgedreht. Ein Arbeiter besorgte dies in kaum 3 Minuten.

    Das Schienenauto hat nach seiner Rückkehr aus Fulpmes am Nachmittag eine Probefahrt durch die Stadt unternommen. Es wurde speziell in der Maria-Theresien-Straße viel angestaunt.

    Wenn zwischen den Bahnverwaltungen und den Behörden die diesbezüglichen Verhandlungen abgeschlossen sein werden, wird das Schienenauto in den Straßen Innsbrucks keine Seltenheit mehr sein. Es ist geplant, ein solches Auto auch für die Mittelgebirgsbahn zu erwerben. In der Vor- und Nachsaison und im Winter könnte es für Igls gute Dienste leisten.


    Und dann noch ein Originalbericht des Neuen Wiener Journals vom 4. Mai 1926:

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    Eine neue Reisemöglichkeit in Oesterreich - Versuche auf der Stubaitalbahn.

    In einzelnen Städten Holländisch-Indiens gibt es eine ganz merkwürdige Straßenbahn. Sie besteht nämlich nur aus zwei langen Schienenstrecken für die Fahrt nach den einander entgegengesetzten Richtungen und hat keinerlei eigene Fahrzeuge. Wer auf dieser Straßenbahn fahren will, bringt sich seinen Wagen selbst mit, ein Kleinautomobil mit einem leichten Motor, das keine Pneumatiks, sondern eiserne Schienenräder hat. Das Fahrzeug wird dann in die Schienen gehoben und nun kann der Fahrgast fahren, wohin er will.

    Dieses Schienenautomobil, eigentlich nichts anderes wie die automobilisierte gute, alte Draisine, konnte man hie und da auch schon bei uns sehen, freilich nicht auf den Slraßenbahnschienen, sondern auf den Geleisen unserer Eisenbahnen.

    Während des Krieges beispielsweise standen den Armeekommandanten solche Schienenautomobile zur Verfügung, um ihnen ein rasches und bequemes Bereisen ihres Kommandobereiches zu ermöglichen und sie von dem fahrplanmäßigen Zugsverkehr unabhängig zu machen.

    Seit einiger Zeit werden nun auf einzelnen Bahnstrecken in Österreich mit solchen modernen automobilisiertcn Draisinen interessante Versuche gemacht. Bisher wurden die kleinen Schienenautomobile nur von Funktionären der Bahnen selbst benutzt, wenn sie anläßlich der vorgeschriebenen regelmäßigen Oberbaukontrollen die einzelnen Bahnstrecken befuhren und inspizierten.

    Nun aber hat man erprobt, ob es nicht möglich wäre, einen regulären Personenverkehr mit Schienenautomobilen einzurichten, der natürlich in vieler Hinsicht große Vorteile bieten würde. Um der Sache von vornherein eine Rentabilitätsmöglichkeit zu geben, müßte man von der bisherigen Form der kleinen automobilisierten Draisinen abgehen, die höchstens zwei, drei Personen zu befördern vermochten und regelrechte große Schienenautomobile bauen.

    Auf einer Tiroler Bahnstrecke hat man auch bereits Fahrversuche mit einem solchen neuen Eisenbahnautomobil vorgenommen, das einschließlich des Führers zehn Personen zu befördern vermag. Aeußerlich sieht das Schienenautomobil ganz seinen bekannten Kollegen, die zur Fahrt auf den Straßen dienen, ähnlich. Es hat bequeme, gepolsterte Sitze, ein rasch ausstellbares Notdach für eventuelles Regenwetter, Windschutzscheibe usw. und nur seine Räder sind eiserne Schienenräder, wie sie alle Eisenbahnwaggons oder Lokomotiven haben.

    Auch die technische Einrichtung des Schienenautomobils entspricht im großen ganzen der normalen Einrichtung der Benzinautomobile, nur ist der Motor erheblich schwächer als bei einem gleich großen Landauto (der Reibungswiderstand auf den Schienen ermöglicht auch mit einer relativ schwachen Kraftquelle eine rasche Fortbewegung) und es fehlt die Steuerungsanlage, da ja dem Eisenbahnauto sein Weg durch die Schienenstrecke vorgezeichnet ist.

    Die Fahr- und Betriebskosten eines solchen Schienenautomobils sind naturgemäß nicht groß und die auf Grund der Versuche vorgenommenen Berechnungen haben ergeben, daß sich die Fahrt in einem Schienenauto für eine Person nicht höher stellen wird als der Preis einer Fahrkarte für die gleiche Strecke in einem normalen Schnellzug. Die Vorteile einer Fahrt im Schienenauto gegenüber der gewöhnlichen Eisenbahnfahrt sind wohl sehr zahlreich.

    Vor allem kommt das Schienenauto für Vergnügungsreisende in Betracht, welche die landschaftlichen Schönheiten einzelner österreichischer Eisenbahnstrecken, zumal der Gebirgsbahnen, voll und ganz genießen wollen. Die Fahrt in einem Schienenauto und

    der Ausblick auf die befahrene Strecke und die Umgebung sind natürlich wesentlich angenehmer als die Reise in einem geschlossenen Eisenbahncoups. Vom Schienenauto aus sieht und bemerkt man Schönheiten, die man beim Blick durch das Waggonfenster, das immer nur nach einer Seite hin einen Ausblick, aber niemals einen allgemeinen Rundblick gestattet, niemals zu sehen bekommt.

    Die Fahrt der Schienenautos ließe sich natürlich leicht überall in den bestehenden Fahrplan der Personen- und Lastzüge einschalten, da die vielbefahrenen Hauptstrecken, die landschaftlich meist weniger reizvoll sind, ja ohnehin für Schienenautos weniger

    in Betracht kommen als die weniger befahrenen Gebirgsbahnen und Zweigstrecken in den Alpenländern. Für diese könnte die Einführung der Schienenautos sogar einen großen materiellen Gewinn bedeuten. Mangels einer entsprechenden Zahl von Fahrgästen ist hier die Führung anderer Züge pro Tag oft unrentabel und muß daher unterbleiben.

    Für das Schienenauto, das nur zehn Passagiere braucht, würden sich gewiß immer Fahrgäste finden und der Verkehr auf diesen Strecken könnte mit ihnen entsprechend verdichtet und ausgestaltet werden. Ferner bietet das Schienenauto die Möglichkeit, daß kleine Gesellschaften oder größere Familien sich für Ausflüge oder Reisen ein solches Schienenauto mieten, was materiell wohl erschwinglich ist, während einen Sonderzug sich ein gewöhnlicher Sterblicher nicht leisten kann, und ähnliche Annehmlichkeiten mehr.

    Bereits Heuer im Sommer wird ein Schienenauto auf der schönen Stubaitalbahnstrecke in der vorgeschilderten Form den Personenverkehr versuchsweise aufnehmen, seine allgemeine Einführung auf den hiefür geeigneten Bundesbahnstrecken wäre wohl zu wünschen. Das Schienenauto ist gewiß kein Ersatz des Eisenbahnzuges, wohl aber eine wertvolle Ausgestaltung des Eisenbahnverkehrs. Und für das Publikum eine erwünschte Annehmlichkeit, für die Bahn eine neue Einnahmsquelle. L.Kr.


    Auf der Seite https://www.eisenbahn.gerhard-obermayr.com/ findet sich sogar ein Foto des Stubaitaler Schienenautos:

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    Das Schienenauto der Stubaitalbahn bei einer Probefahrt oberhalb von Mutters. (Foto: Sammlung G. Mackinger, 1926)

    Einmal editiert, zuletzt von Draisinenfan (15. November 2022 um 12:35)

  • Na das wäre ja eine Idee fürs Schweinbarther Kreuz... quasi Carsharing auf der Schiene.

    Man stellt an diversen Haltepunkten Elektroautos hin, die man mit einer App mieten kann. Die Sicherung erfolgt GPS gestützt, damit sich nicht zwei auf Kollisionskurs befinden.

    Das Auto könnte sogar selbstständig an einen definierten Punkt zurückkehren, sobald man ausgestiegen ist.

    Ich gründe schnell ein Start-Up dafür und stelle ein paar "Can Do Officers" dafür ein.

    You, who are indifferent to the misery of others, it is not fitting that they should call you a human being. ~ Saadi Shirazi

  • Danke für den interessanten Beitrag über das Stubaier Schienenauto. Jetzt fehlt nur noch der Nachweis, dass im Stubaital auch eine Postauto-Raupe unterwegs war. Dann wäre das Glück der Bahn- und Bus-Nostalgiker komplett. Schließlich waren diese etwa zur gleichen Zeit unterwegs. Einen Bericht über den Postauto-Raupen-Verkehr in den Alpen gibt es hier.

    dr. bahnsinn - der Forendoktor

  • Ich gründe schnell ein Start-Up dafür und stelle ein paar "Can Do Officers" dafür ein.

    Ist ja nichts Neues - diese autonomen Kistenideen schießen wie Schwammerl aus dem Boden (siehe Foto Monocab). Ich habe aber einen Jahrgang einer Eisenbahnzeitschrift (Verkehrsrundschau oder so - aus den frühen 30iger Jahren (Name weiß ich nicht da im Lager)) wo schon intensiv über Rationalisierungsmaßnahmen auf Nebenbahnen nachgedacht wurde und da die Straßen schlecht waren versuchte man das in der Produktion und Betrieb billigere Auto irgendwie auf die Schiene zu bringen was letztendlich in so Kübeln wie Austro-Daimler gemündet ist.

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